Sind Selfpublishing-Autoren richtige Autoren?

Anna-Carina Blessmann

Mit der steigenden Wichtigkeit des Selfpublishings (SP) ändern sich auch vermeintlich feste Begrifflichkeiten der Literatur- und Buchwissenschaft: Die klassische Definition, nach der der SP-Autor Risiko und Kos­ten von Herstellung und Vertrieb seines (haptischen) Buches selbst trägt, andererseits aber unabhängig ist und den möglichen Gewinn nicht mit einem Verlag teilen muss[1], scheint in Zeiten der Verbreitung von Inhalten im Internet (z. B. via KDP, BoD, epubli etc.) unvollständig zu sein. Kann bei­spielsweise Fanfiction auch als SP bezeichnet werden?

Auch der Begriff des „Autors“ unterlag einem Wandel vom Autor als Individuum in der Antike [2], über die Funktion als bloßer Vermittler im Mittelalter, zum Geniegedanken im 18. Jhdt. und wieder zur Degradierung als Textvermittler im Poststrukturalismus.[3] Grei­fen also bestehende Autorschafts-Theorien auch im SP noch oder bedarf es gar einer neuen?

 Theorie vs. Praxis

Vom Biografismus zur Selbstinszenierung

Im Biografismus, wie ihn Boris Tomaševskij schon 1923 schildert, ist – auch heute noch – nicht die echte Lebensgeschichte eines Autors wichtig, sondern die von ihm selbst geschaffene Biografie, die damit Teil des Literarischen ist.[4] Das eigentlich vom Leser ausgehende Interesse am Menschen hinter dem literari­­schen Werk befriedigen Autoren seit Jahrhunderten durch ent­­sprechende Selbstinszenierung. Diese kann nur gelingen, wenn sie sowohl unbemerkt als auch unhinterfragt bleibt[5] und sie ist durch das Internet immer einfacher geworden: Autoren können sich auf eigenen Websites oder Blogs, auf den Verlags­home­pages (wenn sie denn im Verlag publizieren) und in sozialen Netzwerken ei­nem großen Publikum präsentieren. So geben 59,1 % der in einer Umfrage von BoD Befragten an, ihr Buch über soziale Medien zu vermarkten, während 72,5 % ei­ne eigene Website betreiben.[6] Da bei den Besuchern solcher Seiten ein Interesse am Autor als Person besteht, können die Sei­ten sich von vornherein auf dessen Inszenierung konzentrieren[7], wo­durch seine Werke zweitrangig werden. Es muss also wohl eine gewisse Bereitschaft zur Selbstinszenierung bestehen, um als Autor präsent zu bleiben und sich von der Konkurrenz auch durch die eigene Persönlichkeit absetzen zu können. Eine inszenierte Biografie oder ein behaupteter biografischer Bezug zum Werksinhalt können zudem als Marketingstrategie genutzt werden. Der Wunsch nach Veröffentli­chung und Selbstdarstellung kann also im Sinne des Biografismus für die Interpretation herangezogen werden.

Selfpublishing als Autorenkollektiv

Als Gegenentwurf zum Biografismus ist „Der intentionale Fehlschluss“ von William K. Wimsatt und Monroe C. Beardsley zu verstehen: Ihrer Meinung nach zeichnet es das Gelingen des Dichters aus, wenn seine Intention direkt aus dem Text ablesbar ist ohne das Hinzuziehen biografischen Mate­rials. Überarbeitet ein Dichter seinen Text, ist er mit der ersten Version gescheitert und seine Intention war eine falsche, wenn sie nicht aus dem Text erkennbar war.[8] Aber wie verhält es sich da mit kollektiver Autorschaft? Denn bei heutigen e-Books ist es möglich, auf Verbesserungsvorschläge der Leser direkt zu reagieren und das bereits erschienene Buch nachträglich abzuändern.[9] Konnte der Selfpublisher zwar seine ei­­gene – nicht von Lektor und Verlag verfälschte – Intention veröffentlichen, bekommt er mit dem kommentierenden Leser wieder einen Co-Autor an die Seite gestellt. Nicht nur, dass eine Zuordnung der Intention jetzt unmöglich ist – wenn er ihn nachträglich abändern musste, ist der Autor laut Wimsatt und Beardsley schon mit der ersten Version seines Textes gescheitert.

Tod des Autors, Plagiat oder doch Rückkehr?

In seinem berühmten Text „Der Tod des Autors[10] geht Roland Barthes einen Schritt weiter: Die Zuweisung ei­nes Autors beschränke den Text auf eine einzige Bedeutung und dämme ihn ein. Barthes setzt an die Stelle des Autors den „Schreiber“, der nicht schon vor seinem Text existiert, sondern gleichzeitig mit ihm entsteht. Da alles, was heute geschrieben wird, schon einmal da war, kann er nichts Ori­ginelles mehr schaffen und schöpft aus einem „Gewebe von Zitaten“.[10] Dies kommt einem Plagiats-Vorwurf an den Autor gleich; doch kann nicht auch etwas Neues entstehen, wenn man Vorhandenes neu zusammenstellt?

Der Meinung ist auch Matías Martínez in seiner Kritik an Barthes. Er führt das Beispiel eines sprach­lichen „ready-mades“ an, eines Gebrauchstextes also, der durch die unveränderte Über­nahme in einen literarischen Band zu einem literarischen Werk wird. Das ready-made kann erst als Kunstwerk identifiziert werden, kennt man sowohl den Original-Text als auch die Absicht des Autors, mit der er ihn unverändert benutzt. Dabei handelt es sich also ausdrücklich nicht um ein Plagiat, da der Bezug zum Original gerade nicht verschleiert wird. Martínez schließt daraus, dass es einen Unterschied geben muss zwischen dem Text als Aneinanderreihung von Worten und dem Werk, das unablösbar mit der Autorintention verbunden ist. Erst der Autor macht einen Text durch seine Intention zum Werk, selbst vermeintlich autorlose Gebrauchstexte (z. B. Beipackzettel) werden durch den dahinter vermuteten (kompetenten) Autor autorisiert.[11]

Im schnelllebigen Internet, in dem jeder anonym schreiben kann, scheint Barthes’ „Tod des Autors“ dennoch mehr als erfüllt. Der Leser hat Macht über den Autor, da er aktiv durch Kommentare in dessen Schreibpro­zess eingreifen kann und soll.[2] Und auch das „Zitatgewebe“ scheint be­stätigt, zählt man Fanfiction zum SP dazu: Dieser ist inhärent, dass sie eine inhaltliche und stilistische Vorlage hat, was manche Autoren auch klar als Plagiat ihres Werkes ablehnen. Bei der Fülle an Selbstpubliziertem kann außerdem schwer überblickt werden, ob dessen Inhalt nicht zusammengestellt ist aus schon da Gewesenem.

An­dererseits leben klassische Verlage vor, dass erfolgreiche Bücher vom Autor gemacht sind, indem offensiv und vorrangig mit dessen Namen geworben wird. Für Selfpublisher wird es also umso wichtiger, den eigenen Namen und die Biografie in den Vordergrund zu rücken und in einen Werks­zusammenhang mit den eigenen Büchern zu stellen.

Theorie der Selbstverlegerautorschaft

Die Theorie des Biografismus scheint heute berechtigter denn je: Der Autor ist ein Subjekt mit biografischem Hintergrund, den er unverfälscht von Lektor und Verlag in das Buch fließen lässt. Im SP ist es also tatsächlich möglich, im Werk des Autors nur Aspekte seiner persönlichen Biografie zu suchen. Ein großer Vorteil des SP ist es, in jedem Fall veröffentlicht zu werden. Dieser Wunsch nach Veröffentlichung muss also ein Motiv des Autors sein und ist damit für die Interpretation des Werkes relevant. Darüber hinaus kann der Inszenierungsdrang den Autor dazu bewegen, sein Buch in einem bei Lesern beliebten Genre anzusiedeln oder direkt bereits bekannte Geschichten nachzuahmen (meist im Rahmen von Fanfiction) und somit Barthes’ „Zitatgewebe“ zu entsprechen. Der Leser hat denn auch größeren Einfluss auf die Autorschaft als je zuvor: Er beeinflusst die Intention des Autors durch Kommentare und gibt somit Barthes Recht, der ihn für wichtiger als den Autor bzw. Schreiber hält. Der moderne (SP-)Autor orientiert sich an den Wünschen desjenigen, der seine Werke liest und tritt ihm zugunsten mit seiner eigenen Intention zurück, die er nicht um jeden Preis durchsetzen will.

Das bedeutet aber nicht, dass die Geburt des Lesers mit dem Tod des Autors zu bezahlen sei. Der Autor lebt durch den Leser und für den Leser.

Anna-Carina Blessmann leitete im Wintersemester 2014/15 als Tutorin die Kleingruppe „2 – Theorie der (Selbstverleger-)Autorschaft“ im „Studienprojekt Selfpublishing“. Dieser Artikel ist die Zusammenfassung ihrer Hausarbeit „Theorie der Selbstverlegerautorschaft“, die als abschließende Prüfungsleistung eingereicht wurde. Weitere Infos sowie den ausführlichen Text stellen wir gerne auf Anfrage zur Verfügung.


 

[1] Hiller, Helmut: Wörterbuch des Buches (4. Aufl.) 1980.

[2] Hartling, Florian: Der digitale Autor. Autorschaft im Zeitalter des Internets. 2009.

[3] Ingold, Felix Philipp / Wunderlich, Werner: Nach dem Autor fragen. 1992.

[4] Tomaševskij, Boris: Literatur und Biographie. 1923.

[5] John-Wenndorf, Carolin: Der öffentliche Autor. Über Selbstinszenierung von Schriftstellern. 2014.

[6] Vgl. BoD-Self-Publishing-Studie 2014.

[7] Paulsen, Kerstin: Von Amazon bis Weblog. Inszenierung von Autoren und Autorschaft im Internet. 2007.

[8] Wimsatt, William K. / Beardsley, Monroe C.: Der intentionale Fehlschluss. 1954.

[9] Matting, Matthias: Wie Sie Ihre Bücher aktualisieren. Bei KDP, Createspace und Distributoren. 24.05.2013.

[10] Barthes, Roland: Der Tod des Autors. 1968.

[11] Martínez, Matías: Autorschaft und Intertextualität. 1999.

(Allgemeine Hinweise zur Verwendung von Fußnoten und Hyperlinks auf spubbles.wordpress.com)

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