Schließt das Konzept des Selfpublishing das Kuratieren von Inhalten aus?

Im letzten Sommersemester beschäftigten wir uns in einem Seminar mit Michael Bhaskar, einem britischen Wissenschaftler und Verleger, und seinem Werk „The Content Machine. Towards a Theory of Publishing from the Printing Press to the digital Network.“[1] Bhaskar strebt in diesem Buch die Entwicklung einer Publishing-Theorie an. Spannend, aber er hat in diesem Jahr noch ein weiteres Buch veröffentlicht, das mein Interesse mehr erweckte. Ein Buch, das sich mit Kuration beschäftigt und dem Kuratieren von Inhalten – „Curation. The Power of Selection in a World of Excess.“[2] Unter Kuration werden alle Aktivitäten des Auswählens und Arrangierens verstanden. Bhaskar untersucht in diesem Werk unter anderem die Kurations-Prozesse im Verlagsumfeld und im Internet. Im Rahmen der Seminararbeit kam mir die Idee, das Verhältnis von Kuration und Selfpublishing zu untersuchen: Schließt alleine das Konzept des Selfpublishing – das Freisein, das Unabhängig sein – den Prozess des Kuratierens von Inhalten aus? Oder hat nicht jeder bearbeitete und veröffentlichte Text schon einen Kurations-Prozess durchlaufen?

Kuration: ein Werkzeug

In einer Welt, in der es von Daten und Informationen nur so wimmelt, ist es manchmal schwer, den Überblick zu behalten. Stündlich werden Massen an Content veröffentlicht – tagtäglich werden hunderte Bücher publiziert, vor allem auf dem Weg des Selfpublishing. Um sich diesen Daten- und Büchermengen stellen und diese auffindbar und nutzbar machen zu können, braucht es bestimmte Anwendungen oder Werkzeuge. Ein mögliches Werkzeug ist Kuration. Ausgeführt wird Kuration von einem Kurator, also einer Person, die dafür zuständig ist, bestimmte Dinge anzuordnen und auszuwählen. Inzwischen geht das Kuratieren aber weit über diese bisher bekannten Prozesse hinaus.

Der Begriff und seine Wandlung

Der Begriff Kuration kommt von dem lateinischen Wort curare und bedeutet, sich um etwas kümmern, pflegen. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird der Begriff häufig im Zusammenhang mit der Kunstszene verwendet und ist vor allem in der Museumswelt beheimatet. In den letzten Jahrzehnten findet der Begriff jedoch auch in anderen Bereichen Verwendung. Längst geht es nicht mehr nur darum, die Ausstellung eines Künstlers zu Kuratieren und dessen Werke aufzubewahren, anzuordnen und auszustellen. Kuration geht heute viel weiter und bezeichnet nicht mehr nur das Physische, sondern tritt ein in die Weiten der Digitalisierung. Jede Darstellung auf einer Website kann beispielsweise als Kuration verstanden werden. Inhalte werden aufbereitet und den Internet-Nutzern zugänglich gemacht. Mit der Verbreitung des World Wide Web und schließlich des Web 2.0 verändert sich die Bedeutung von Kuration gänzlich. Sie wendet sich ab von ihren Ursprüngen und macht durch die digitalen Möglichkeiten des Mitgestaltens plötzlich jedermann zu einem Kurator. Kuration bewegt sich weg von physischen Gegenständen, hin zu Informationen, Daten und allgemein Medien. Bedacht werden muss hierbei, dass es sich bei Kuration nicht um ein neues Phänomen handelt, dass durch die Digitalisierung entstanden ist. Die Geschichte des Begriffs zeigt, dass schon die Römer das Berufsbild des Kurators kannten. Allerdings ergeben sich durch das Internet und dessen Weiterentwicklung stetig neue Möglichkeiten für Kuratoren – angefangen bei einer größeren Auswahl, besseren Recherchemöglichkeiten bis hin zu einfacherer Vernetzung  und Zusammenarbeit mit anderen Kuratoren. Dadurch entstehen neue Formen der Kuration.

Kuration im Verlagswesen

Bhaskar sieht eindeutig eine Verbindung zwischen Verlegen und Kuratieren: Seiner Meinung nach sind jegliche Aktivitäten, die die ursprüngliche Sache – in diesem Fall den Text – bearbeiten, anordnen, bewerben oder im Laden positionieren, Aktivitäten des Kuratierens. Somit betreibt ein Verleger allein per Definition in seinem Beruf Kuration. Vor allem stellt Bhaskar das Kuratieren von Inhalten heraus, also die Be- und Verarbeitung eines Textes oder ähnliches. Das Kuratieren von Inhalten findet im Verlagswesen nicht nur laut Bhaskar vermehrt Anwendung. Wolfgang Michal beispielsweise betont die zunehmende Bedeutung von Kuration im Journalismus. Er versteht darunter vor allem die Aufarbeitung fremder Inhalte und ein Angebot von Inhalten außerhalb des traditionellen Verlagswesens. Michal spricht der Kuration eine Filter- und Orientierungsfunktion zu. Bhaskar vertritt ähnliche Ansätze: Die chaotische Fülle an Information verlangt nach Ordnung, nach Pflege und Sortierung – eben nach Kuration.

Kuration und Selfpublishing

Jedes Jahr werden Millionen neuer Bücher publiziert, eine unübersichtliche Flut an Selfpublishing-Titeln überschwemmt Tag für Tag das Netz. Aber auch klassische Verlagshäuser produzieren mehr Bücher, als jemals gelesen werden können. Bhaskar stellt sich aufgrund dieser Tatsache die Frage, ob der Wert des Verlegens tatsächlich darin liegt, ein Buch nach dem anderen zu veröffentlichen, oder ob der Fokus weniger auf dem Buch und mehr auf dem Leser liegen sollte. Denn das ist, was die Buchbranche hauptsächlich umtreibt – wie kommt das Buch zum Leser beziehungsweise der Leser zum Buch? Und hier setzt Bhaskars Kuration-Idee an. Wie bereits erläutert geht es bei Kuration unter anderem darum, Inhalte besser auffindbar zu machen. Dazu zählen auch Bücher. Ein Verleger ist ein Experte auf seinem Gebiet, also kann auch er ein Expert Selector im Sinne einer kuratierenden Tätigkeit sein. Ein Verleger filtert nicht wahllos, sondern gezielt und auf Basis seines gesammelten Expertenwissens – er sucht sich das passende Manuskript, bearbeitet es und bringt das fertige Buch schlussendlich in den Handel und zum Leser. Doch wie ist das bei Selfpublishern? Selfpublisher haben keinen Verlag, der ihnen die Entscheidungen abnimmt – sie entscheiden eigenständig, welches Genre sie bedienen, ob sie ihren Text lektorieren lassen, welchen Dienstleister sie wählen und somit auch, in welchen Shops ihr Werk schlussendlich auffindbar ist. Für die Metadaten, die einer besseren Auffindbarkeit dienen, sind sie selbst verantwortlich. Wo ist die Verbindung zur Kuration?

Das Selfpublisher alle Entscheidungen ganz alleine treffen, muss an dieser Stelle relativiert werden – zwar können sie jegliches Manuskript schreiben und veröffentlich, das beispielsweise in kein Verlagsprogramm passt, dennoch müssen sie sich einigen Parametern beugen. Als erstes sind Selfpublisher inhaltlich vor allem und natürlich durch geltendes Recht beschränkt. Die verschiedenen Dienstleister behalten sich vor, diskriminierende, beleidigende oder schlicht für unpassend empfundene Inhalte zu löschen. Außerdem lagern viele Selfpublisher bestimmte Tätigkeiten, wie beispielsweise die Covergestaltung, aus und lassen ihre Texte ebenfalls lektorieren und korrigieren. Somit findet prinzipiell ein Prozess statt, der sich an die klassische Verlagsarbeit anlehnt. Es tritt zwar kein Verleger oder Verlag als Institution auf, aber der Selfpublisher arbeitet (meistens) auch nicht ganz alleine. Diese Prozesse sind notwendige Begleiterscheinung einer jeden Veröffentlichung. Selfpublishing-Dienstleister bieten außerdem durch ihre Zusatzleistungen ebenfalls Kuration an. Sie vermitteln verschiendste Vorstufen der Veröffentlichung, die sonst von einem Verlag durchgeführt werden, an die Selfpublisher. Dem ersten Eindruck kann somit entgegen gehalten werden, dass das Selfpublishing ebenso wie das klassische Verlegen Prozessen der Kuration unterliegt. Es kann jedoch darüber diskutiert werden, was alles als Kuration zu bezeichnen wäre – ist die Wahl des Covers tatsächlich ein Kurations-Prozess? Fest steht, dass sowohl die Prozesse der Verlagsarbeit als auch die der Kuration dazu beitragen sollen, eine Vorauswahl für den Kunden zu treffen und ein Produkt möglichst gut zu positionieren.

Fazit

Dieser kleine Ausschnitt aus meiner Seminararbeit soll deutlich machen, dass das Selfpublishing ebenso wie das klassische Verlagswesen durchzogen von Kurations-Prozessen ist, die ständig weiter ausgebaut werden und neue Erscheinungsformen bilden. Somit muss an dieser Stelle auch der Begriff des SELFpublishers relativiert werden, da auch ohne Verlag meistens noch einige andere Leute bei der Veröffentlichung eines Buches eine entscheidende Rolle spielen. Vor allem durch die Weiterentwicklung des Web 2.0 wird das Kuratieren von Inhalten immer wichtiger. Nur durch ordentlich durchgeführte Kuration werden Inhalte auffindbar und vor allem nutzbar gemacht. Das Positionieren, also das Arrangieren, spielt im Verlagswesen und besonders im Selfpublishing eine entscheidende Rolle, um in der Masse der Werke aufzufallen und Käufe zu generieren. Das führt allerdings auch dazu, dass der Begriff Kuration immer weiter ausfranzt – kann man nicht sogar schon von Kuration sprechen, wenn man einen Text auf einer Website postet und ihn beispielsweise auf Seite 1 platziert? Ist nicht jeder Text allein durch das Abtippen schon irgendwie kuratiert? Diese Fragen lassen sich auch durch Bhaskars umfangreich ausgearbeitet Darstellung der Kuration und seiner Wandlungsprozesse nicht hinreichend beantworten. Trotz allem sind seine Werke empfehlenswert, möchte man tiefer in die Geschichte des Publishing und der Kuration eintauchen. Fest steht, dass Autoren, Korrektoren, Designer, Dienstleister und Verleger alle ihren Teil auf dem Weg zu einem fertigen Werk beitragen, das schließlich auf einer Plattform oder im Handel präsentiert wird und (hoffentlich) seine Leser findet.

 

Dieser Artikel ist die Zusammenfassung der Hausarbeit „Curation und Selfpublishing. Schließt das Konzept des Selfpublishing das Kuratieren von Inhalten aus?“, die als abschließende Prüfungsleistung eingereicht wurde. Weitere Infos sowie den ausführlichen Text stellen wir gerne auf Anfrage zur Verfügung.

 

[1] Bhaskar, Michael: The Content Machine. Towards a Theory of Publishing from the Printing Press to the digital Network. London, New York: Anthem Press, 2013.

[2] Bhaskar, Michael: Curation. The Power of Selection in a World of Excess. London: Piatkus, 2016.

Ein Kommentar zu “Schließt das Konzept des Selfpublishing das Kuratieren von Inhalten aus?

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